Ein Mittwoch im Juli

Es war ein Mittwoch im Juli, mitten in der Woche und mitten am Tag.

Mein Sohn steckt seinen Kopf zur Wohnzimmertür herein, verzieht ein bisschen das Gesicht und fragt: „Was ist das denn?“

„Das ist die Plazenta“, antwortet meine Hebamme. Willste mal gucken?“ „Neee“, sagt Janosch., und flitzt wieder raus. Wir lachen und freuen uns über das Leben. Über das Große – und über das Kleine. Meine kleinste Tochter Juno Marie ist noch keine Stunde alt.

24 Stunden vorher sitze ich mit meiner Hebamme und einer Hebammenschülerin in unserer Küche. „Naja, so, wie du wirkst, dauert das noch ein bisschen“, sagt er. Das denke ich auch. Ich bin ET + 4, aber so richtig fühle ich mich noch nicht nach Geburt. Wir verabreden uns für Übermorgen, zur Akupunktur. „Übermorgen ist doch gut“, denke ich. Machen wir doch Übermorgen Akupunktur und abends Geburt. Klingt doch nach einem Plan.

Aber Plan ohne Juno gemacht.

Schon nachts bekomme ich Wehen. Es ist mein drittes Kind, aber das erste Mal, dass ich mich so ganz von alleine einwehe. Bei Janosch hatte ich einen vorzeitigen Blasensprung und dann erst ewig gar keine Wehen. Meine mittlere Tochter Milu hat meine Hebamme bei ET + 14 mit Akupunktur rausgelockt. Ich hatte deswegen immer ein bisschen Sorge, dass ich die Wehen nicht so gut erkenne oder mit Vorwehen verwechsle, aber die Sorge war unbegründet. Jupp. Die kenne ich. Das sind echte Wehen. Kein Zweifel. Es ist ungefähr 4 Uhr morgens und ich wecke kurz meinen Freund: „Es geht los“, sage ich. „Ist doch schön!“, antwortet er. Dreht sich wieder um und schläft weiter. Na wunderbar …

Ich versuche auch nochmal zu schlafen, aber ich bin doch aufgeregt und stehe auf. Weiß aber auch nicht so richtig, wohin mit mir … Was mache ich denn jetzt noch? Oh, ich weiß was! Ich hole einen Stapel Pelzy, mach Arnikagel drauf, wickel alles in Frischhaltefolie ein und pack es ins Gefrierfach. So gut fürs Wochenbett!

Dann rufe ich mal meine Hebamme an und sage: Ich glaube, wir bekommen heute ein Baby“. Er bekommt am Telefon eine Wehe mit und sagt: „Ok., da haben wir aber noch ein bisschen Zeit. Halte mich mal auf dem Laufenden. Iss noch was und ruh dich aus!“

Essen. Gute Idee! Das mache ich. Und daaaaaan werden die Kids wach: „Mama, Mama, Mama! Ich habe Hunger und ich will kuscheln und Mamaaaa, guck mal!“. Puh, puh, puh … Wehen weg. Ich bin überfordert. Kleiner Breakdown. Ich schaff das nicht! Ich kann das nicht! Meine letzten Monate waren ganz schön schwer, nicht wegen der Schwangerschaft, sondern privat. Ich habe Angst, dass meine Kraft nicht reicht für eine Geburt. Und überhaupt, ich wollte das doch übermorgen machen! Übermorgen! Nicht jetzt!

Und Malerfolie! Fuck, wir haben noch gar keine Malerfolie für die Laken-Malerfolie-Laken-Präparation! Wie soll ich das denn alles machen, ohne Malerfolie???

Nach meinem kleinen Meltdown geht’s wieder besser. Natürlich schaffe ich das. Aber nicht so! Wenn das heute noch eine Geburt werden soll, dann brauche ich ein bisschen Ruhe. Und Malerfolie. Also, schöne Wochenbetteinkaufsliste schreiben, Kids und Papa rausschmeißen! Tür zu. Ruhe. Und jetzt?

Ich habe meine beiden Großen auch zu Hause, ich bin so gut wie nie alleine zu Hause. Schön! Die Wehen werden auch wieder kräftiger. Und jetzt? Ich nutze die Gunst der Stunde und … gucke die neueste Folge „Handmaid’s Tale“. Weiß aber jetzt schon, dass ich die nochmal werde gucken müssen. Mittlerweile muss ich alle fünf Minuten Pause machen, und kurz verwehen. Geht aber alles noch.

Nach der Folge habe ich mich schon ganz gut eingeweht, aber ich bin ein bisschen irritiert: Ich merke die Wehen diesmal sehr stark im Rücken! Das kenne ich von den anderen Geburten nicht so. Egal, erstmal weiter machen.

Dann rufe ich doch meine Hebamme an. Ich will jetzt doch langsam, dass er mal guckt. Geht das voran? Sind die Wehen produktiv? Geht’s der Kleinen gut? „Alles klar“, halbe Stunde bin ich da!“, sagt er. Und kommt dann auch.

Super Erstbefund! Muttermund ist schon gut geöffnet. Die Kleine liegt mit dem Rücken an meinem Rücken, das ist nicht ganz optimal, aber bekommen wir hin. Deswegen, ab in den Vierfüßler, Po schön nach oben und kreisen! Wow! What a relieve! Das tut richtig gut und nimmt den Druck vom Rücken. Ein Glück.

Ich hatte mich diesmal nicht so sehr auf die Geburt vorbereitet, ich hatte vor den ersten Geburten viel gemacht und wusste jetzt nicht mehr so richtig, was ich eigentlich noch machen soll. Aber ich habe viele spirituelle Videos geguckt, Eckhart Tolle, Wayne Dyer, Oprah. Und das hilft mir jetzt. „Die Wehe kommt, die Wehe geht. Der Schmerz kommt, der Schmerz geht. Aber ich bin nicht der Schmerz“! Das wird mein Mantra und das hilft so sehr!

Die Wehenpausen sind wie Urlaub, so ruhig ohne meine zwei Rabauken. Meine Hebamme ist da, aber sagt nur etwas, wenn ich was sage. So gut!

Irgendwann kommt die Malerfoliencrew dann zurück. „Na, sind wir schon zu fünft?“, fragt mein Partner, als er reinkommt. Noch nicht ganz. Meine Kids versuchen nochmal, mich anzusprechen, aber dafür habe ich jetzt wirklich keinen Kopf mehr. Später, ihr Süßen, später wieder! Das sage ich ihnen auch. Und sie verstehen das. Ich habe sie gut vorbereitet auf die Geburt, sie wissen Bescheid. Später erzählt mein Partner, dass sie sich ihr „Fisch-und-Schokolade-Buch“ geschnappt und regelmäßig geguckt haben, wie weit die Geburt ist und was als nächstes kommt. Ich bekomme nur mit, dass sie immer mal wieder rein und raus flitzen. Janosch war wohl mit dabei, als das Köpfchen schon geboren war. Ich bekomme das alles nicht mit, bin viel zu vertieft in meine Geburtsarbeit.

Zwischendurch muss ich mal auf’s Klo. „Ich muss auf’s Klo“, sage ich, „aber ich will gar nicht raus aus meinem Vierfüßler.“ Alle lachen, aber ich meine das voll ernst! „Mach doch 2,3 Wehen auf dem Klo“, sagt meine Hebamme, „ist ja auch eine ganz gute Position!“ Aber nee, nee! Kann er ja selber eine auf dem Klo veratmen, wenn er will. Ich ganz sicher nicht! Ich will zurück in meinen Vierfüßler!

Das mache ich dann auch. Die Wehe kommt, die Wehe geht. Der Schmerz kommt, der Schmerz geht. Aber ich bin nicht der Schmerz! Funktioniert solange gut, bis ich dann doch langsam keine Lust mehr habe. Langsam reichts! Ich will nicht mehr! Echt nicht. Ich könnte irgendwie auch schon mitschieben … Das sage ich dann auch. „Na, mach“, sagt meine Hebamme. Mittlerweile ist auch die zweite Hebamme da und auch die Hebammenschülerin. Full House. Aber o.k. für mich. Er hat mich vorher natürlich gefragt, ob das o.k. ist für mich. Ist o.k. für mich.

Mit den Presswehen stehe ich ja persönlich ein bisschen auf Kriegsfuß. Ich mag die nicht. Ich finde, es fühlt sich an, als müsste man eine Kokosnuss kacken. Dieser Druck! Dieser krasse Druck! Aber diesmal gelingt mir etwas: „Loslassen!“ „Mach auf, lass los!“, sagt meine innere Stimme und siehe da, es ist immer noch nicht mein favorite thing in the world, echt nicht, aber es ist o.k..

Und dann kommt das Wunder. Der Kopf ist geboren. Das Köpfchen ist geboren! Ich heule da schon fast (und jetzt auch wieder)! Hallo, meine Kleine! Da bist du ja! Hallo! Ich streichel das Köpfchen und bin jetzt schon glücklich. „Eine noch“, sage ich. „Eine noch!“, sagt die Hebamme. Und da kommt sie, die eine, letzte Wehe und mit ihr meine wunderbare, tolle, großartige Tochter. Da bist du, mein Kind! Mein Wunder. Mein Geschenk des Himmels.

Es war ein Mittwoch. Ein Mittwoch im Juli. Ich nenne dich trotzdem Juno. Meine kleine Juno Marie. Danke, dass du da bist. Danke, dass du bei uns bist!

Danke, dass du unser Leben jeden Tag ein bisschen heller machst. Ich liebe dich. So sehr.

Jule