Geburtslust
Am 18.10.2019 hat unsere Tochter Edna Sol zu Hause in unserer Wohnung das Licht der Welt erblickt. Unsere gemeinsame Geburtserfahrung war unsere erste große Aufgabe und Herausforderung als Team. Mein Partner Alex war und ist mir eine feste und wichtige Stütze vor, während und auch nach der Geburt. Edna ist entspannt, lebensfroh und natürlich wunderschön. Ednas Geburtstag war ein Fest für mich und für alle anderen Menschen, die glücklicherweise dabei waren. Meine positive Einstellung zur Geburt, die ich mir während meiner Vorbereitung auf diesen Moment angenommen habe, war sicherlich mit dafür verantwortlich, dass ich kraftvoll und selbstbestimmt gebären konnte. Daher ist es mir ein Anliegen unsere Geburtsgeschichte aufzuschreiben und zu verbreiten, um auch anderen Frauen Mut zu machen die Geburt ihres Kindes oder ihrer Kinder genauso zu gestalten, wie sie es sich wünschen.
Eine schöne Geburt ist kein Hexenwerk
– sondern ein Gleichgewicht aus Sicherheit, Vertrauen, Mut, Umgang mit Ängsten, Schwäche, Kontrollverlust, Hingabe und einer dicken Portion Geburtslust!
5 Tage vor der Geburt haben mein Partner Alex und ich miteinander geschlafen. Sexualität hatte auch während unserer Schwangerschaft viel Raum. Da mein Körper und mein Hormonhaushalt sich in den 9 Monaten der Schwangerschaft stark verändert haben, ist es mir nicht immer leicht gefallen meine Lust zu spüren und zuzulassen. Aber zum größten Teil ist es uns gelungen unsere gegenseitigen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu respektieren. Liebe machen, Kuscheln und Streicheln wurde sogar zu einem sehr wertvollen Teil der Schwangerschaft und ich hatte öfters das Gefühl der aktiven Geburtsvorbereitung.
Lust zulassen, Kontrolle abgeben, Aufblühen, Explodieren, Fühlen, Lieben…
Der letzte Sex vor Ednas Geburt, war sehr intensiv. Ich hatte zwei wunderschöne Orgasmen und bin,
high auf Oxytocin,
mit unserer Hündin in den Park gegangen. Mein Bauch hat sich allerdings komisch angefühlt und ich musste sehr, sehr langsam laufen. Meine Gebärmutter hat sich in regelmäßigen Abständen zusammengezogen. Ich habe gesaugt und das Badezimmer geputzt. Der Drang nach Sauberkeit und Ordnung war sehr stark. Der liebevolle Sex hat also die Senkwehen angestoßen.
In den folgenden 5 Tagen habe ich mich verändert gefühlt. Meine Gebärmutter hat fleißig das Kontrahieren geübt. Geht’s jetzt los? Was passiert in meinem Körper? Was, wenn ich mich irre und sich dieser Zustand noch 3 Wochen oder länger hinzieht? Bekomme ich das wirklich hin?…. Aber ich habe trotz einiger Zweifel (vor allem Nachts…) nie den Mut und die Vorfreude auf die Geburt und auf unser Kind verloren.
Am Abend vor der Geburt war ich mit meiner Punk Band verabredet. Wir haben gemeinsam gekocht und den Abend verbracht. Das Essen hat geschmeckt und die Zeit ging schnell vorbei, aber mein Bauch hat so komisch weh getan. Hatte ich vielleicht zu viele Chips gegessen? Bekam mir das indonesische Essen nicht so gut? Es war schon 23 Uhr und ich beschloss mit dem Taxi nach Hause zu fahren. Mir war irgendwie nicht so gut….
Auf dem Rückweg im Taxi habe ich mit dem Fahrer über die Schwangerschaft gesprochen. Das Gespräch mit seinen alten Weisheiten á la – es wird bestimmt ein Junge, weil…. – hat mich genervt.
Ich war sehr froh, als der Smalltalk vorbei und ich endlich zu Hause war.
Ich war nämlich nicht besonders gut drauf, wollte mich hinlegen, fand keine bequeme Position und auch zu Alex war ich eher zickig. Er durfte nicht mal mehr meinen Bauch mit Öl einreiben…. Ein Ritual, welches eigentlich jeden Abend seinen festen Platz vor dem Einschlafen hatte.
Wirklich gut schlafen konnte ich nicht. Ich rollte mich hin und her und war tot müde. Als ich endlich aufstand, weil ich nicht mehr liegen konnte, war es bereits 4:30 Uhr. Dann trieb ich mich im Wohnzimmer mit meinem großen Gymnastikball herum. Rollte mich auf dem Boden auf und ab, begann mit meinen Atemtechniken – einatmen, zählen und doppelt so lange ausatmen – und dann war mir klar:
Jetzt geht’s los.
Ich wollte auf’s Klo, hatte das Gefühl von zu hartem Stuhlgang und so beschloss ich, um ca. 5:30 Uhr, Alex zu wecken und zu fragen, wie ich mir selbst einen Einlauf geben kann. Er wachte auf, rieb sich die Augen. „Geht’s jetzt los?“ Ich nickte. Dann sagte er: “Gib‘ mir 5 Minuten, ich mach mir einen Kaffee und dann bin ich für dich da!”
Ich war also damit beschäftig mir selbst einen Einlauf zu verpassen, als Alex sich Badewasser eingelassen hat. Die Wellen kamen schon recht häufig und trotzdem war ich noch zögerlich. Geht es nun wirklich los? Irgendwie hatte ich Angst mich doch zu irren. Auch ein bisschen Angst vor der Herausforderung, die vor mir lag. Ich spürte, dass ich die direkte Verbindung zu meinem Kind war und daher eine große Verantwortung auf mir lag. Die anderen Menschen, die ich ausgesucht hatte bei der Geburt dabei zu sein, konnten mich zwar unterstützen, aber ich war diejenige, die bald ein Kind gebären würde. Das war irgendwie
ein sakrales und starkes Gefühl.
Alex und ich haben gemeinsam ein kuscheliges Bad genossen. Der Abstand der Wehen verringerte sich auch in der Badewanne immer weiter und wir wurden doch ein bisschen aufgeregt und nervös. Unsere Stimmung war gut und sehr positiv. Alex hat das Wohnzimmer mit Decken, Matten, einer Matratze, Tüchern, Unterlagen, Kerzen und mit viel Liebe in eine gemütliche Geburtshöhle verwandelt.
Nach dem Baden kam auch schon meine gute Freundin Fee dazu, die ich gefragt hatte, ob sie bei meiner Geburt quasi als Doula dabei sein möchte, weil ich mich in ihrer Gegenwart sicher und gut aufgehoben fühle. Sie strahlt Ruhe aus und ich vertraue ihr. Fee und Alex haben mich ins Wohnzimmer begleitet und mich bei den Wellen unterstützt. Das Kerzenlicht, meine eigene Geburtslust-Playlist mit vielen Liedern starker weiblicher Energien und das schummerige Licht, haben dazu geführt, dass ich mich sehr wohl gefühlt habe.
Fee hat Müsli gegessen. Ich nicht.
Ich hatte keinen Hunger mehr. Der Abstand zwischen den Wellen wurde kürzer und ich lag in den Pausen auf dem Boden unter einer Decke, mit einer Wärmflasche an den Füßen. Wenn ich gespürt habe, dass eine Welle kommt, dann ging ich auf die Knie und habe mich auf den Ball gestützt, geatmet und gestöhnt bzw. getönt. So ging das auch eine Weile ganz gut. Plötzlich bemerkte ich, wie ganz
viel Schleim aus meiner Vulva floss.
Der Schleimpfropf hatte sich gelöst. Und gemeinsam mit Fee bin ich auf’s Klo und habe mit voller Begeisterung mehr und mehr Schleim herausgezogen. Omas Wecker hat um 10 Uhr geklingelt. Der Wecker funktioniert eigentlich nicht mehr und klingelt daher auch nur noch zufällig. Aber ich glaube nicht an Zufälle, sondern an das Schicksal… Das Klingeln war also ein ganz wunderbares Signal für mich. Meine Oma, die nämlich vor 2 Jahres verstorben ist, war auch da und würde mich und mein Kind bei der Geburt unterstützen! Und dann plötzlich während des Höhepunkts einer Welle hatte ich mit einem Schlag das Gefühl mein Becken sei auseinander gebrochen… Ich habe den Bruch gehört und es hat mir unheimliche Angst bereitet. Ich habe dann ganz laut gerufen: „Irgendwas ist gerade passiert.
Irgendwas ist gerade in mir gebrochen!“
Fee hat dann gefragt, ob es zwischen meinen Beinen nass ist und das war es wirklich. „Dann wird es wohl die Fruchtblase gewesen sein“, hat sie gesagt. Wir haben ein Handtuch zwischen meine Schenkel gelegt. Kurz darauf hat der Pressdrang begonnen. Das war ein abgefahrenes Gefühl und ich konnte gar nichts dagegen tun. Endlich hat es geklingelt und meine Hebamme Peter ist mit der Hebammenschülerin Alena gekommen. Peter hat seine Sachen abgelegt und kam ganz schnell zu mir auf die Matte. Er hat seine Hände auf meinen Rücken und meine Schenkel gelegt und klar und deutlich zu mir gesagt: „Ich bin da – du kannst loslegen!“ Das waren ganz wunderbare Worte, die mir viel Sicherheit gegeben haben. Ich war wie in Trance. Vanessa, die zweite Hebamme, kam auch noch in unsere wohlig-warme Geburtshöhle dazu. Alle waren da. Alles war bereit. Ich habe mich gut unterstützt und stark gefühlt. Peter hat mir angeboten den Vierfüßlerstand auszuprobieren. Ich war erst skeptisch und wollte in meiner bisher bewährten Position auf der linken Seite liegend festhalten. Doch ich hatte vertrauen und so habe ich die neue Position ausprobiert. Ich empfand sie sogar als sehr angenehm. Ich konnte mich vorne bei Alex oder Fee festhalten, super nach hinten mitpressen und vor allem auch mit meinen eigenen Augen sehen was passiert. Ich habe auch gespürt, wie Edna sich von innen an der Oberseite meiner Gebärmutter abgestoßen hat. Das war schon ein lustiges Gefühl!! Während der Wehen und diesem extremen Druck habe ich viel an meine Oma gedacht –
sie war mein Krafttier
und hat mir Mut und Zuversicht gegeben. Es hat sich faszinierend angefühlt, wie Edna’s Kopf bei jeder Welle immer ein Stückchen nach unten gedrückt wurde und danach wieder zurück gerutscht ist. „2 cm vor und wieder 1 cm zurück – so wird das Gewebe geschont“, hat Peter erklärt. Deshalb hat er auch ein warmes Tuch gegen meinen Damm gedrückt. Ich habe mir zwei Finger eingeführt. Was ich spürte war hart und hatte zusammengefaltete Haut oben drauf. Das war wohl ein Stück ihres Hinterkopfes. Das war cool und sehr motivierend! Und ich habe ihr auf den Kopf getippt und ihr dann gesagt: „He du – du kannst ruhig rauskommen“. Das war ein schöner Augenblick. Kurz darauf konnte ich schon ein Stück des Kopfes in Ellipsenform sehen. Peter hat mich dazu angehalten bei der nächsten Welle nicht mitzupressen, um das Gewebe zu schonen. Und dann kam auch schon der Moment, in dem der Kopf in seinem vollen Umfang aus meiner Vulva herausragte. Das war schon krass. Es hat auch gebrannt und war einfach ein sehr extremer Moment. Aber ich hatte Vertrauen, dass er vorüber gehen würde. Bei der nächsten Welle wurde dann nämlich der Kopf geboren. Als ich nach unten sah, konnte ich ihren Hinterkopf sehen. Edna hat nach hinten in Peters Richtung geschaut und wir haben vorne nur ihre süßen Geräusche gehört – wie ein kleiner Vogel hat sie gequackt und gequietscht. Dann hat Edna ihren linken Arm nach draußen geschoben, weshalb ihr Schultern einen breiteren Durchmesser hatten als ihr Kopf und es so zu Geburtsverletzungen kam. Doch das habe ich diesem Moment gar nicht warhgenommen. In meinem Kopf gab’s nur: Pressen. Wir schaffen das! Durchhalten. Gleich wird mein Kind geboren! Kraaaaaaaass… Und schwupps – lag dort auf dem Boden
ein kleines Wesen.
Es war 12 Uhr mittags. Ich habe mich zurückgelehnt, kniete vor ihr und habe einfach nur in ihr Gesicht gestarrt. „Sieht aus wie Alex und wie Opa Jörg.“, war das Einzige, das ich herausbekam. Vanessa hat ihren Körper mit einem Handtuch abgewischt und nach kurzer Zeit dann auch gesagt, dass mein Kind ein Mädchen ist. Darauf hatte ich vorher gar nicht geachtet. Und tatsächlich, unser neugeborenes Kind hat eine wunderschöne Vulva. Das war wirklich eine Überraschung, auf die wir uns während der gesamten Schwangerschaft gefreut hatten. Irgendjemand hat mir gesagt, dass ich sie ja mal hochnehmen kann. Das habe ich dann gemacht und sie auch direkt an meiner Brust angedockt. Ihre Augen waren ganz weit offen und sie hat gleich getrunken. Alex hat sich hinter mich gesetzt und wir haben zu dritt gekuschelt, während wir auf die Geburt der Plazenta gewartet haben. Edna, Alex und ich konnten schon bald auf die im Wohnzimmer vorbereitete Matratze umziehen, wo wir – gefühlt- für eine Woche liegen geblieben sind :)
Das ganze Wochenbett war eine wunderschöne, anstrengende, intensive und lebensverändernde Zeit. Wir haben über eine Woche lang im Wohnzimmer geschlafen. In unserer Wohnung war es schön warm, wir waren viel nackig und haben es genossen unsere Geburtshöhle kaum zu verlassen.
Die Geburt war wahrlich
ein Fest des Lebens.
Die Stimmung war sehr angenehm und ich bin super glücklich über diese entspannte Hausgeburt. Edna ist gut auf unserer Erde angekommen und hatte bisher keine Probleme. Meine Milch fließt gut. Edna hat schnell zugenommen, die Rückbildung geht stetig voran und trotz eines Dammrisses, einigen Labienrissen und den damit einhergehenden Schmerzen und Juckereien gingen die postpartalen Beschwerden vorbei. Die ersten Nächte waren hart. Ich hatte starke Kopfschmerzen und viel Muskelkater – meinen
„Ganzkörpermuttermuskelkater.“
Dank vielen liebevollen Massagen von Alex, meiner Freundin Anne und meiner Schwester Lulu ging auch das vorbei. Susanne, unsere Mütterpflegerin und selbst Mutter von 4 Kindern, hat uns innerhalb der ersten 3 Wochen im Haushalt unterstützt, mit uns gute Gespräche über das Leben geführt und leckere Mahlzeiten für uns zubereitet. Auch unsere Nachbarn und einige Freunde haben uns mit Leckereien und guter Musik versorgt. Fee kam für 10 Tage jeden Tag in unser Wochenbett zum Freundschaftsbesuch – das war eine intensive Zeit, die wir sehr genossen haben. Wir haben großes Glück und sind sehr dankbar, dass wir die ersten Wochen so unbeschwert und liebevoll verbringen konnten
Wir sind nun eine Familie, finden langsam wieder zu uns, aber im Grunde ist und bleibt alles ganz schön verrückt. Ein echtes Abenteuer! Ich bin sehr dankbar für die viele Unterstützung lieber Menschen. Ich bin auch froh, dass ich mutig genug war mich für eine Hausgeburt zu entscheiden. Edna ist in einem gemütlichen und sicheren Nest gelandet. Wir sind happy :)